Wenn das Schule (nicht) macht?
Viele Schulen begrenzen ihren Handlungsraum und ihr Aufgabenspektrum heute an anderen Stellen als es noch vor zehn und mehr Jahren der Fall war. Eigentlich unnötig zu erwähnen, dass nicht böser Wille der Schulen dahinter steckt, sondern gesellschaftliche Verhältnisse. 1 Zum Beispiel halten es zwei Drittel der Deutschen für ideal, wenn beide Partner ein Einkommen haben. Wir sagen es trotzdem, damit man uns nicht unterstellt, wir wären irgendwie gegen Schule an sich – ganz im Gegenteil.
Der Schule wird heute gar mehr abverlangt, als zu so gut wie allen Zeiten zuvor: sie sollen u.a. verschiedene Leistungsstufen und Sprachniveaus integrieren (von hochbegabt bis förderbedürftig), individuell auf die Leistungsstände eingehen und nicht zuletzt auch Erziehungsarbeit übernehmen, die bei Doppelverdiener-Eltern oder Alleinerziehenden oftmals kurz kommt. Dem Schulsystem, der Schule oder gar einzelnen Lehrern eine Schuld zu geben liegt uns fern. Allerdings ist nicht zu leugnen, dass durch die neuen Dimensionen schulischer Leistungsspektren manches gestrichen oder minimiert werden muss, was mit gutem Grund lange integraler Bestandteil des Schullebens war. Das kann die Theatergruppe oder die Big-Band sein, das Wahlfach Leichtathletik, das die Schule in den 70er Jahren vielleicht sogar bei den Deutschen Schulmeisterschaften vertrat, oder auch der Wahlkurs Stenographie.
Aber wer übernimmt eigentlich die Dinge, die deshalb unter den Tisch fallen? Werden die Bedürfnisse und Gänsehäute einfach weggewischt wie Tafelkreide?
Wir glauben, dass Projekt Agora vielen Dingen ein Zuhause geben kann, die früher im schulischen Rahmen realisiert wurden. Das ist freilich nicht die Klassenfahrt, aber zum Beispiel ein Musical-Projekt. Natürlich geht es um keine bayerische Schulmeisterschaft im Wasserball, aber möglicherweise um Kurse in Kurzschrift, Chinesisch oder Bratsche. Dabei geht es sowohl darum Gemeinschaft zu erfahren, als auch eigenes Selbstvertrauen zu entwickeln. Wer sich für eine Sache frei entscheiden und sich in diese einbringen kann, erfährt nicht nur eine Freiheit der Wahl und ein Bewusstsein für mögliche Wege durchs Leben, sondern kann sich auch gezielt weiter entwickeln und im Erfolg eines größeren Projektes wertvolle Erkenntnisse über seine Selbstwirksamkeit bekommen.
Natürlich wollen wir nicht verschweigen, dass Schulen an anderen Stellen durchaus Initiativen ergreifen: es gibt Kurse im Programmieren von Handy-Apps oder Seminare, die versuchen an das wissenschaftliche Arbeiten heranzuführen.
Vielen der neueren Angebote ist gemein, dass sie sich, allgemein gesprochen, mit Technik befassen. Natürlich ist auch Stenografie eine Technik und das Aufschreiben derselben bedarf auch technischer Voraussetzungen in Form eines Stiftes. Jedoch besteht doch ein mehr als gradueller Unterschied im Hinblick auf die Unmittelbarkeit der Verwendung und des Verständnisses der Grundlagen dieser Technik. Natürlich muss niemand, der Geige spielen will, eine Geige bauen können, aber jeder Spieler hat die Möglichkeit zu den Elementen des Instruments eine Beziehung und ein Verständnis aufzubauen (die Größe des Resonanzkörpers, die Saitenlage, die Haptik des Holzes, uvm.). Dem gegenüber erscheint ein zu programmierendes Smartphone kühl und kompliziert, ein kaum ganz erfahr- und erfassbarer Kasten. 2 “Ihre Deckelhauben sind, schon laut Beschriftung, nur vom Fachmann zu öffnen. Was darunter abläuft, in den Schaltkreisen selber, ist keine Kunst, sondern ihr Ende in einer Datenverarbeitung, die von den Menschen Abschied nimmt.“ Friedrich Kittler (1988) in „Fiktion und Simulation“, enthalten in „Philosophien der neuen Technologie“ (Hrsg.: ARS ELECTRONICA, Merce Verlag Berlin) Spätestens wenn länger der Strom ausfällt, wird man keinen Nutzen mehr im Androiden sehen.
Angebote möglichst unvermittelter Weltaneignung zu machen und die Funktionen der Techniken in unserem Alltag zu hinterfragen, sollen Kernelemente von Projekt Agora sein. Selbst zu singen macht Musik anders erfahrbar als GarageBand 3 Eine beliebe Anwendung zur Musikproduktion für jedermann auf einen Apple-Produkt. http://www.apple.com/de/ios/garageband/. Selbst mit GarageBand Musik zu machen, hat wiederum eine andere Qualität als anderen beim Musizieren zuzuhören. Alles ist Musik, aber es hat immer unterschiedlich stark mit mir selbst zu tun.
Anmerkungen
↑1 | Zum Beispiel halten es zwei Drittel der Deutschen für ideal, wenn beide Partner ein Einkommen haben. |
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↑2 | “Ihre Deckelhauben sind, schon laut Beschriftung, nur vom Fachmann zu öffnen. Was darunter abläuft, in den Schaltkreisen selber, ist keine Kunst, sondern ihr Ende in einer Datenverarbeitung, die von den Menschen Abschied nimmt.“ Friedrich Kittler (1988) in „Fiktion und Simulation“, enthalten in „Philosophien der neuen Technologie“ (Hrsg.: ARS ELECTRONICA, Merce Verlag Berlin) |
↑3 | Eine beliebe Anwendung zur Musikproduktion für jedermann auf einen Apple-Produkt. http://www.apple.com/de/ios/garageband/ |