Wie kommt man eigentlich auf so eine Idee?
Die Überlegungen zu Projekt Agora nahmen 2015 auf den engen Pfaden des Sentiero Alpino Calanca – einem wenig bekannten Höhenweg in Graubünden – ihren Anfang. Wir teilten unseren Nachnamen erst seit knapp einer Woche und entflohen dem Hochzeitstrubel in ein wildes Tal in der Südschweiz. Das Calanca-Tal ist ein Beispiel für die politische Maßnahme der „Wüstung“, der bewussten infrastrukturellen Nicht-(weiter)-Erschließung eines Gebietes. Diese Tatsache mag dazu beigetragen haben, dass die Idee zu Projekt Agora ausgerechnet zwischen Gämsen und Schutzhütten aufblitzte.
„Eine eigene Bühne haben – das wär’s“, überkam es Simon, der seit über 10 Jahren als Musiker die Bühnen Deutschlands und der Nachbarländer kennenlernen konnte. Vor allem die zurückliegenden beiden Jahre mit Yasi Hofer & Band führten Simon und Miri an magische Orte. Orte der Freiheit und des Idealismus, Plätze der Individualität und der Solidarität, Räume des Nachdenkens und des Nicht-Vorgedachten, also des Unkonventionellen, Freien und Experimentellen.
Diese Orte erschienen regelmäßig in zwei verschiedenen Formen: Als kleiner Club, z.B. mit offenem (!) Feuer, liebenswürdigen Haustieren, großen Gebrauchsspuren und oft unglaublicher musikalischer Tradition (im Beispiel das legendäre Village in Habach) – die Funktionsweise von Kulturbetrieben dieser Art ist so offensichtlich wie charmant: hier werden wenig Mittel eingesetzt, weil insgesamt wenig umgesetzt wird (oft ist ein Förderverein unverzichtbar, z.B. auch in der Halle Reichenbach). Es gibt allerdings noch die andere Strategie: ob als Veranstaltungssaal mit angrenzendem Hotel (Riffelhof Burgrieden), als Bühne im alten Kino mit hübschen Café im Foyer (Lichtspielhaus Riedlingen) oder als durchgestylter Musikladen, in dessen untergeschossigem Bauch sich eine Bühne befindet, auf der sich Musiker und Gäste sofort wohl fühlen (Doubles Donauwörth) – hier werden die kulturellen Events mit anderen Einnahmequellen verknüpft – und das funktioniert! Gemeinsam ist beiden Formen die idealistische, motivierende und offene Persönlichkeit der Gründer und Geschäftsführer.
In diesen Personen, ihren Haltungen und Beweggründen und ihrem individuellen Einsatz für die Sache erkannten wir uns so gut wie immer wieder und wir waren uns gleich darüber einig, dass ein neues Unternehmen nicht als Hippielokal mit Low-Budget beginnen sollte – dazu sind wir noch zu jung und haben noch zu viel vor. Unsere Gedanken zielten von nun an also auf Variante „Kultur plus X“ ab. Aber was, und wo?
Es muss doch sicher ein Gebäude in einem Stadtkern oder in der Nähe eines Stadtkerns geben, das man wiederbeleben könnte, dachten wir uns – eine Immobilie von der Post, der Bahn, eine alte Brauerei, ein Textilunternehmen, … 1 Mehr Gedanken zu möglichen Gebäuden haben wir hier versammelt: Freude am Gebäude Wieso wir uns so sicher sind, dass es das geben muss? Vor allem die beiden letzten Jahre auf den kleinen Bühnen Süddeutschlands, unserer Heimat, führten uns in Dörfer und Städte, deren Kern kein Ort des Austausches mehr ist. Die Leute bauen ihre neuen Häuser am Stadtrand, um dann über die Überlandstraßen und Autobahnen zu ihrer Arbeit in die größeren Städte zu fahren. Die Discounter siedeln sich auf den grünen Wiesen vor der Stadt an. Die Einzelhändler krepieren, weil für Austausch nur noch der Paketbote sorgt, der Schuhe, Elektronik und sogar Lebensmittel zustellt. Dagegen wollen wir etwas tun. Wir wollen die Menschen zusammenbringen, wollen einen Ort der Begegnung anbieten und dabei doch mehr sein als ein Gemeindezentrum. Man könnte mancherorts wirklich den Glauben an die Innenstädte verlieren, aber wir erlebten in der Vergangenheit auch Kommunen, die atemberaubende Dinge auf die Beine stellten, deren Gemeinschaft inspirierend und deren Herzlichkeit unbeschreiblich war. Wir glauben, dass ein Sehnen nach Gemeinschaft, nach sinnvoller Betätigung und Selbstverwirklichung uns allen gegeben ist – unabhängig von Alter, Herkunft, Geschlecht, Bildungsgrad, Religion, usw.
Seit wir 2006 unser Abitur ablegten sind wir unterwegs, pendeln zwischen Studium und Sportverein, absolvieren Auslandssemester und Tourneen, arbeiten im Ausland und feiern doch immer wieder mit den gleichen Schulfreunden wie vor 15 Jahren. Mittlerweile haben wir sogar Heimat im Überörtlichen gefunden – etwa in einer Band oder im Gottesdienst. Aber das füllt nicht den gesamten Raum. Wir möchten uns gerne wirksam in die Gesellschaft einbringen, von der wir so viel Gutes erfahren haben und durch die unsere Lebensläufe scheinbar mühelos glitten. Wir möchten etwas aufbauen und dort bleiben. Und wir glauben, dass es auch die richtige Zeit ist, den Heimatbegriff neu zu denken und dass es dazu keinen geeigneteren Ort gibt als Projekt Agora. Viele junge Menschen verlassen ihre Heimatstädte, um zu studieren, zu reisen, anderenorts zu arbeiten oder zu lieben. Das heißt aber nicht, dass sie sich nicht mehr in ihrer alten Heimatstadt oder der neu auserkorenen Heimatstadt einbringen wollen. Das gelingt mangels Kontinuität der Anwesenheit nur deutlich schlechter als früher. Hier ist ein wesentlicher Ansatzpunkt von dem nicht nur die typischen Adressaten von Gemeindezentren wie Schüler, Migranten oder Senioren profitieren, sondern auch für Familien, Unternehmer, Gründer und sogar Bürgermeister, die mit Projekt Agora einen Beitrag zur Belebung ihrer Stadt leisten können.
Und so haben wir uns auf den Weg gemacht, Projekt Agora Wirklichkeit werden zu lassen: zunächst erzählen wir auf diesem Blog von unseren Ideen und Idealen und machen weiter „Benchmarking“, indem wir musikalisch neue Leute, Orte und Konzepte kennenlernen. Außerdem gehen wir natürlich noch unseren Berufen nach und genießen das Glück einer jungen Familie. Aber wir sind fest davon überzeugt, dass eines Tages die Agora vom Projekt zur Institution wird.
Wir hoffen auf Eure Unterstützung und teilen Euch gerne regelmäßig Neuigkeiten mit.
Anmerkungen
↑1 | Mehr Gedanken zu möglichen Gebäuden haben wir hier versammelt: Freude am Gebäude |
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